Die deutsche Automobilindustrie durchlebt turbulente Zeiten. Bosch-Chef Stefan Hartung über den harten Wettbewerb, die Möglichkeiten und die Zukunft.
Generell ist die Situation weltweit nicht so gut, wie wir uns das vorgestellt haben. Dazu müssen wir ein wenig zurückgehen: 2019 haben wir das erste Mal grundlegende Veränderungen in der Weltmarktentwicklung bemerkt. Und dann waren nacheinander mehrere Krisen zu bewältigen, die sich auf den Gesamtkonsum und so auch auf den Automobilmarkt ausgewirkt haben. Und in der nachhaltigen Ausrichtung der Mobilität erleben wir gerade eine leichte Kurskorrektur im Antriebsmix – etwas weg vom reinen E-Auto hin zu Plug-in-Hybriden. Zugleich kämpfen wir mit der Stagnation der Fahrzeugproduktion. All das wirkt sich auch auf Bosch aus.
Zunächst einmal: Von Wollen kann eigentlich keine Rede sein. Aber wir müssen hier handeln. Es gibt im Moment zwei fundamentale Gründe, weshalb ein Stellenabbau in einigen Bereichen über die kommenden Jahre notwendig ist. Zum einen sind es strukturelle Veränderungen. Beispiel E-Mobilität: Sie wird in deutlich geringerem Umfang nachgefragt als erwartet. Und modernste Elektronikplattformen, die mit ihrer breiten Einführung verbunden sind, gehen auch nicht wie geplant in Serie. Dadurch haben nicht nur wir Überkapazitäten. Zum anderen müssen wir als Unternehmen unsere Wettbewerbsfähigkeit überprüfen, vor allem in einem neuen Umfeld. Zum Beispiel wird China an vielen Stellen bedeutsamer und damit verändert sich auch die Wettbewerbslandschaft der Zulieferer. Wir müssen uns immer wieder fragen, sind wir mit unseren Standorten weiter weltweit wettbewerbsfähig. Das sind für uns die beiden Hauptgründe, die zur Anpassung führen. Das heißt aber nicht, dass wir Mitarbeiter sofort entlassen. Wir wollen auf betriebsbedingte Kündigungen möglichst verzichten – so, wie wir das immer gemacht haben.
Wir haben an unseren deutschen Mobility-Standorten betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2027, teilweise sogar bis 2029, ausgeschlossen. Wir versuchen, die notwendigen Anpassungen im gegenseitigen Einvernehmen zu erreichen. Zumal in Deutschland Fachkräfte gebraucht werden. Gleichzeitig verfügt Bosch über gut ausgebildete, leistungsfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Arbeitgeber finden können. Und in vielen Fällen sind auch Vorruhestandsregelungen möglich.
Nein, für uns ist das Verkaufen oder Kaufen von Geschäften klar eine Portfolio-strategische Frage. Personalanpassungen sind hingegen eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit und Strukturveränderung.
Die Politik kann schon sehr viel tun, sie hat ja auch dazu beigetragen, dass sich die Märkte entsprechend verhalten. Ich werbe weiter für den sehr guten Ansatz der sozialen Marktwirtschaft, den wir mit wehenden Fahnen vor uns hertragen sollten. Wir sind damit sehr gut gefahren und übrigens nicht nur in Deutschland für den Wohlstand hier, sondern auch in Deutschland für die Bedarfe der Welt. Wir sollten uns stark darauf fokussieren, dieses Modell der freien Entfaltung der Wirtschaft in einem verlässlichen Ordnungsrahmen regulativ zu unterstützen. Jedes Mal, wenn ich durch eine Vorgabe in dieses System des freien Wettbewerbs eingreife, muss ich mir im Klaren darüber sein, dass ich das als Regulierer nur in meinem Regulierungsumfeld tun kann. Ich kann nicht aus Europa heraus versuchen, die Welt zu regulieren, das wird nicht gehen.
Persönlich bin ich der festen Überzeugung, dass eine gewisse angebotsorientierte Regulierung notwendig sein wird. Aber es wird vor allen Dingen nötig sein, in der Regulierung nochmal drüber nachzudenken, wie wir fundamental die CO₂-Emissionen im Verkehr senken können. Das heißt, wir müssen uns sehr wohl auch die Kraftstoffseite anschauen – also was ist mit HVO100-Kraftstoff, was ist mit anderen CO₂-reduzierten Kraftstoffen und wie kann ich sie vielleicht steuerlich begünstigen? So viel teurer sind sie meist gar nicht. Und die überwiegende Zahl der Fahrzeuge können diese problemlos tanken. Wichtig ist mir: Der Regulierer muss möglichst rasch handeln, am besten schon 2025. Zudem muss ich mir überlegen, wie rechnet der Kunde? Sprich, kann die Politik bei der Besteuerung der verschiedenen Energiearten Anreize setzen? Kann sie den Kunden dabei unterstützen, für sich das richtige Fahrzeug zu kaufen?
Das ist eine weitere Art der Marktbeeinflussung: Müssen wir den Konsumenten Geld geben für das Auto? Wenn ich das mache, dann werde ich als Staat auch zum Preisbildner. Damit begibt man sich auf einen Pfad, den man nicht einfach wieder verlassen kann. Und deswegen bin ich kein großer Fan von solchen Eingriffen, denn ich werde niemals genau wissen, wie viel von dieser Förderung jetzt preissenkend, preisersetzend ist oder vielleicht noch anders wirkt. Und ich muss das dann auch durchhalten, denn sonst brechen die Absätze rasch wieder ein. Wir haben das in Deutschland ja erlebt.
Es gibt einige Themen beim Strom – Netzkosten, viele Steuern und Abgaben. Da muss man nicht unbedingt den Strompreis selbst fördern, sondern man kann einfach auf Steuern verzichten. Das würde schon viel bringen.
Alle haben Kapazität für Elektromobilität aufgebaut, die Werke stehen. Auch die Zulieferer haben investiert, doch die Investitionen sind im Moment nicht ausgelastet. Der Verbraucher will bislang die E-Autos nicht in der erwarteten Stückzahl. Der Hersteller muss aber dennoch seine CO₂-Flottenziele einhalten. Gelingt ihm das nicht, zahlt er eine Strafe. In anderen Regionen der Welt gibt es diese Strafen so nicht. Im Gegenteil, es gibt eine Förderung der Hersteller. Das hat Konsequenzen im Weltmarkt. Die Frage muss man sich dann schon stellen, ist das mit den Strafzahlungen richtig? Ich sage nein – also bitte anschauen.
Die chinesischen Hersteller haben einen äußerst wettbewerbsintensiven Markt in ihrer Heimat. Wirklich hart umkämpft mit Auswirkungen auf den Preis. Es ist aber nicht so, dass wir im Moment in Europa riesige Mengen an E-Autos aus China im Markt sehen. Dennoch müssen wir uns anschauen, zu welchen Kosten Fahrzeuge angeboten werden und uns die Frage stellen, ob wir in diesem Umfeld wettbewerbsfähig sind. Das liegt jetzt auf unseren Tischen und wird sich auch in Entwicklungsplänen spiegeln.
Der chinesische Kunde ist extrem anspruchsvoll. Er kauft ein Auto, das viele Features bietet bis hin zu etwa Unterhaltungs- und Komfortangeboten, die wir als Spielerei abtun würden. Und eine starke Integration des Smartphones ist ihm sehr wichtig. Auch nutzt er Sprachschnittstellen in einem Umfang, wie wir uns das fast nicht vorstellen können. Dabei achtet er sehr aufs Geld und was er dafür bekommt.
Ja, das tun sie. Die Hersteller bringen dort immer mehr Fahrzeuge mit sehr modernen Elektronikplattformen auf den Markt. Sie sind so aufgebaut, möglichst wenige Zentralrechner zu nutzen. Also sehr moderne, updatefähige Plattformen, was den großen Vorteil bringt, dass sie Software schnell aktualisieren können. Der chinesische Markt treibt in diesem Feld die Innovationen.
Das ist für uns auf der einen Seite hoch anspruchsvoll, weil wir an einigen Stellen unsere eigene Technologie umbauen müssen, sodass sie zu den chinesischen Anforderungen passt. An anderer Stelle ist es für uns fantastisch, weil wir plötzlich Dinge machen können, die wir vorher gar nicht anbieten konnten. Wie zum Beispiel auf der Stelle drehen mit dem Fahrzeug, indem wir einfach die Elektroachsen unterschiedlich ansteuern und entgegengesetzt drehen lassen. Das sind tolle Funktionen, und die Krönung für uns ist die Gesamtfahrzeug-Ansteuerung etwa in Sachen Fahrdynamik. Das ist typisch Bosch, dafür eine Plattform anzubieten, die der Hersteller dann auf sein Fahrzeug frei parametrieren kann. Das gab es bei uns immer schon für die Bremse, immer schon für die Lenkung, immer schon für Teilfunktionen, und jetzt gibt es eben auch eine Software-Lösung für alles, die wir Vehicle Motion Management nennen.
Wir treten da gar nicht auf die Bremse, aber dieser Bereich ist quasi dauerrevolutionär. Das wirkt sich auch auf die benötigten Kapazitäten aus. Vollautomatisiertes und assistiertes Fahren wurden zunächst getrennt betrachtet. Jetzt aber nähert sich die Industrie dem vollautomatisierten Fahren evolutionär an über eine stufenweise Weiterentwicklung der Assistenzsysteme, die derzeit wirtschaftlich relevanter sind. Auch Künstliche Intelligenz mischt in diesem Technologiefeld immer stärker mit. Verschiedene Sensoren arbeiten in einem einzigen Netzwerk und liefern eine Empfindung zur Fahrzeugumgebung. KI ist in der Lage, diese Szenen zu beschreiben und zu interpretieren. Auch die Softwareentwicklung wird durch KI revolutioniert, was dazu führt, dass der Software-Entwickler besser wird.
Absolut. Bosch bleibt in Europa und China aktiv beim automatisierten Fahren und investiert weiterhin hohe Summen in diesem Bereich. Die Teams und Programme laufen weiter, da es sowohl westliche als auch chinesische Themen gibt, die jeweils vor Ort bearbeitet werden müssen.
Auch in China ist es assistiertes Fahren – es ist und bleibt aktuell ein Level-2- und Level-2plus-Fahren. Diese Angebote sind derzeit die wichtigsten für den chinesischen Markt, weil sie Funktionen bieten, die den Fahrer in seiner Aufgabe entlasten. Diese Systeme bewältigen komplexe Straßensituationen mit dem Fahrer in der Verantwortung. Bosch muss sich hier gegen leistungsfähige chinesische Zulieferer behaupten. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit WeRide als Partner für uns so entscheidend. Wir ergänzen uns gut und haben gemeinsam ein gutes System im chinesischen Markt, das es so von keinem anderen westlichen Tier1-Zulieferer gibt. Auch in Europa treiben wir die Projekte voran. Automatisiertes Fahren muss schlussendlich kostengünstig und auch für die Kompaktklasse erschwinglich sein.
Das ganze Feld bleibt getrieben von komplexer Technologie. Man muss sich mit den Systemen intensiv auseinandersetzen. Und sie müssen unbedingt updatefähig sein. Denn der Clou ist, dass permanent neue Technologie entwickelt wird. Selbst wenn ich noch so kurze Fahrzeugentwicklungszyklen habe, würde es nicht reichen, nur alle 18 Monate neue Technologien einzuführen. Wir müssen die Kombination aus Langlebigkeit eines Autos und Geschwindigkeit der Technologieupdates ähnlich wie bei Mobiltelefonen darstellen. Menschen sind bereit, ihre Telefone alle paar Jahre zu erneuern, aber Autos sollen länger genutzt werden. Neue Softwarefunktionen halten auch ältere Autos modern.
Die Integration von Technologie bleibt die hohe Kunst der OEMs. Aber Sie haben recht, diese Integration variiert in der Funktionsempfindung je nach Modell, auch wenn die gleiche Technologie verwendet wird. Deshalb ist es sinnvoll, ein Auto Probe zu fahren und sich vor dem Kauf zu informieren. Kunden sind nicht nur spontan, sondern treffen überlegte Entscheidungen basierend auf ihren Erfahrungen und Informationen. Die Vielfalt und Individualität der Fahrzeuge machen den Automobilmarkt besonders. Die Integration von Standardtechnologien in verschiedenen Fahrzeugen zeigt die Unterschiede und die Bedeutung der OEMs bei der Schaffung einzigartiger Fahrerlebnisse. Dies unterstreicht zugleich die Notwendigkeit, dass OEMs weiterhin in die Integration und Entwicklung von Technologien investieren, um den sich ständig ändernden Anforderungen und Wünschen der Kunden gerecht zu werden. Die Fähigkeit, Träume zu realisieren und gleichzeitig praktische Bedürfnisse zu erfüllen, bleibt ein zentrales Element im Automobilbau.
Deutschland muss sich als Volkswirtschaft und in seinen Fähigkeiten darauf fokussieren, den richtigen Beitrag zu leisten. Und das darf nicht nur sein, dass wir selbst klimaneutral werden. Wir müssen einen Beitrag leisten zur CO₂-Freiheit der Welt. Das ist die entscheidende Frage unserer Zeit. Deutschland hat bei der Bewältigung dieser Aufgabenstellung eine sehr große Chance – wenn es sich auf seine Stärken fokussiert. Wir sind gut im Autobau und in der Softwareentwicklung, können aber nicht alles selbst machen und müssen mit anderen Regionen zusammenarbeiten. Andere Dinge dagegen müssen wir hier machen und leistungsfähig in den Markt bringen. Wir importieren Rohstoffe und Energie, um Produkte und Dienstleistungen für den Export zu produzieren – für den Nutzen der Welt. Darin sehe ich auch weiterhin unsere große Chance, auch im globalen Wettbewerb mit China, den USA und anderen Regionen.
Unsere Ausgangssituation ist gut, wir haben sehr gut ausgebildete Menschen und eine hohe Lebensqualität. Hinzu kommt, dass der europäische Markt mit über 400 Millionen Menschen riesig ist. Wirtschaftlich müssen wir aber wettbewerbsfähig bleiben, damit wir für talentierte Menschen und visionäre Investoren attraktiv bleiben. Wenn uns das gelingt, werden wir auch in Zukunft erfolgreich sein.
Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur ist seit Januar 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH und zudem Gesellschafter der Robert Bosch Industrietreuhand KG. Er wurde am 13. Januar 1966 in Dortmund geboren, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Bei Bosch ist Hartung seit 2004. Zuvor war er bei der Fraunhofer-Gesellschaft und der Unternehmensberatung McKinsey & Company in Düsseldorf tätig.
2025-01-09T13:56:37Z